Mein erster Auftrag

Vor einiger Zeit trudelte mein erster eigener Auftrag ein. Ich war so aufgeregt! Doch ich verbot Rosalie, sich einzumischen (so nenne ich die Stimme in meinem Kopf, die mir einreden will, ich sei nicht gut genug, Hochstapler*in gar), und machte mich ans Formelle.

Wörter zählen, Angebot erstellen, Fragen klären, Zeitplan basteln. So erwachsen, wow.

Genau da, wo ich sein will

Dann war das geschafft. Ich öffnete das Dokument, um anzufangen, und etwas passierte, womit ich nicht gerechnet hatte. Die Aufregung, die Nervosität, die zitternden Hände, fühlten sich plötzlich nicht mehr beängstigend an, sondern toll. Vorfreudig. Begeistert.

Da war auf einmal diese große sichere Gewissheit in mir: Ich bin genau da, wo ich sein soll. Ich mache genau das, was ich machen will. Lektorat, das ist mein Ding. Glücklich grinsend begann ich zu arbeiten.

Vom unmotivierten Schreiben …

Aber woher kommt diese Begeisterung fürs Lektorieren? Ich weiß es doch auch nicht so genau. Es fühlt sich einfach richtig an. Und das Gefühl hatte ich früher schon mal – zu einer Zeit, als ich noch schlecht bezahlte Texte über Themen verfasste, die mich nicht interessierten. Kreditkarten zum Beispiel. Dafür hatte ich einfach null Motivation.

Nun ist es so: Wenn ich ein Thema langweilig finde, kostet es mich enorme Kraft, mich damit zu beschäftigen. Ganz zu schweigen davon, einigermaßen lesbar drüber zu schreiben. Ich konnte mich einfach nicht aufraffen, riss jede Deadline, prokrastinierte, was das Zeug hielt, und war ziemlich unglücklich mit der Gesamtsituation. Inzwischen weiß ich, dass mein ADHS-Gehirn an der Sache nicht ganz unbeteiligt war und der Druck, allein verdienend für meine Familie zu sorgen, hat mir dann den Rest gegeben und das Schreiben gegen Geld ein für alle Mal verhagelt.

… zu Schmetterlingen im Bauch

Aber ich schweife ab. Vor ein paar Jahren also, ich saß an meinem Computer, wahrscheinlich mal wieder alles andere machend, als an einem Auftrag zu arbeiten. Dann plinkte mein E-Mail-Programm, der LinkedIn-Newsletter war da, keine Ahnung, warum ich den abonniert hatte. Darin ein Angebot: Lektor*innen gesucht!

Mein Bauch kribbelte los, yes, das klang gut, endlich nicht mehr vor einem leeren Word-Dokument hocken! Und endlich keine aufgeplusterten SEO-Texte schreiben, die eh niemand liest! Neuer Job und bessere Bezahlung, here I come.

Lauf… äh lektorieren lernen

Das Angebot war bei der Agentur Scribbr, dort können Studierende ihre Abschlussarbeiten lektorieren. Ich bestand die Aufnahmetests und saß schon bald begeistert an meinen ersten Aufträgen.

Inzwischen arbeite ich nicht mehr für Scribbr, auch wenn es mir dort Spaß gemacht hat. Ich konnte in einem sicheren Rahmen meine ersten Schritte als Lektor*in tun, habe unglaublich viel gelernt (Begriffe wie Apposition, Kasuskongruenz und Zeitenfolge gehören inzwischen fest in mein Vokabular) sowohl über die Arbeit am Text als auch über nützliche Tools und den Umgang mit Word. Ich hatte eine Community aus anderen Lektor*innen. Und es war bequem.

Gefehlt hat mir überraschenderweise der direkte Kontakt mit den Kund*innen. Mir! Als Drinnie! Fragen klären, Feedback, Lob, alles ging den Umweg über den Kundenservice. Das dauerte nicht nur länger, sondern führte auch zu Missverständnissen. Schade irgendwie.

Erste*r Detektiv*in oder Recherchen & Archiv? Von beidem was

Jetzt hab ich so viel getippt und du so viel gelesen. Aber so richtig näher bin ich dem Grund meiner Lektoratsliebe nicht gekommen. Ist es die Detektivarbeit, wenn ich mich, ein kniffliges Grammatikproblem lösen wollend, quer durchs Internet und den Duden recherchiere und dabei fühle wie Justus Jonas und Bob Andrews in einer Person? Ist es der Triumph, wenn mir nach langem Grübeln beim Abendbrot eine alternative Formulierung einfällt, die einen Satz auf ein neues Niveau heben wird? Vielleicht die Freude meiner Kundschaft über meine Arbeit, ihr Dank, und meine Freude, nützliche Arbeit getan zu haben?

Keine Ahnung. Wahrscheinlich alles zusammen. Vielleicht ist Lektorat also ein bisschen meine Berufung. Aber es hat mich auch viel Arbeit und Zeit und Energie gekostet, da hinzukommen, wo ich jetzt bin. Und das hat sich ja so was von gelohnt!

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